- Sach- und KFZ-Versicherer drohen bei ihren Reaktionen auf Kostensteigerungen die Kunden aus den Augen zu verlieren
- Mittelständische Unternehmen vielfach mit Investitionen für Risikomanagement überfordert
- Fünf Beobachtungen sollen aufrütteln
Von Lars Mesterheide, Chief Broking Officer, MRH Trowe
Frankfurt, 26. November 2024. Die Sach- und KFZ-Versicherungsbranche sieht sich derzeit mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die sich in unterschiedlichen Strategien der Versicherer niederschlagen. Der Blick auf die individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten der Gewerbe- und Industriekunden geht dabei häufig verloren.
Fünf Beobachtungen zeigen, dass Handlungsbedarf besteht:
1. Firma „Rast & Ruh“: Vormittags geschlossen – Nachmittags zu?
Die schwache Ertragslage in der Sach- und KFZ-Versicherung zwingt viele Risikoträger dazu, ihre Neugeschäftsstrategien zu überdenken. Seit September haben bereits neun Carrier ihre Bücher für die Sachindustrie, Immobilienkunden oder für das Flottengeschäft geschlossen. Diese Entwicklung ist alarmierend und zeigt, dass der Druck auf die Branche steigt. Ob dies auf Ressourcenmangel oder Margendruck zurückzuführen ist, bleibt offen.
2. Deutscher Mittelstand: Wird er noch gehört?
Trotz positiver Stimmen vom GVNW Symposium im September diesen Jahres, die eine Entspannung in der Sachindustrieversicherung suggerieren, bleibt die Realität für den deutschen Mittelstand herausfordernd. Während große Unternehmen im Bereich Brandschutz und Riskmanagement gut aufgestellt sind, kämpfen viele mittelständische Unternehmen mit der Umsetzung notwendiger Investitionen im Risikomanagement. Dies führt zu einem geringeren Appetit der Carrier, was wiederum zu steigenden Preisen und mangelnden Kapazitäten führt.
3. Was sind eigentlich Graustufen?
Der hohe Ertragsdruck auf Seiten der Versicherer scheint zu einem „Schwarz-Weiß-Underwriting“ zu führen. Risiken, die nicht den strengen Zeichnungsvorgaben entsprechen, werden oft gänzlich abgelehnt. Diese fehlende Lösungsorientierung und der Mangel an Mut, individuelle Lösungen zu finden, sind besorgniserregend.
4. Etikettenschwindel?
Im Zuge der ESG-Initiativen haben sich einige Versicherer von der Zeichnung von Risiken im Bereich der fossilen Energieträger verabschiedet oder begleiten nur noch Unternehmen, die sich auf dem Weg zur „Nachhaltigkeit“ oder in Transformation befinden. Ist es sinnvoll, sich mit „ein paar grünen Aufklebern“ und dem Versprechen, jetzt auch Solaranlagen zu versichern, von der Verantwortung für die Branche „freizukaufen“? Während manche Versicherer sich stolz auf nachhaltige Branchen konzentrieren, bleibt das Angebot für andere, exponierte Industrien, wie Recyclingbetriebe oder die Holzverarbeitung, stark unterrepräsentiert oder ist gänzlich nicht existent. Für ein Paket von mehreren Tausend Elektrofahrzeugen haben wir von über 25 Carriern nicht einmal ein Angebot erhalten. Hier könnte man fast schmunzeln, wenn es nicht so ernst wäre – der Etikettenschwindel in der Branche ist offensichtlich, und die Kunden bleiben auf der Strecke.
5. Autohaus-Dilemma?
Stellen Sie sich vor, Sie möchten in einem Autohaus einen Kleinwagen und einen Mittelklassewagen kaufen. Der Verkäufer teilt Ihnen mit, dass er Ihnen nur den Mittelklassewagen verkaufen kann, da er nicht für den Kleinwagen zuständig ist. Der zuständige Verkäufer ist jedoch erkrankt. Als Sie schließlich den Verkäufer für den Kleinwagen erreichen, erfahren Sie, dass im Gegensatz zum Mittelklassewagen elektrische Fensterheber und Navigationsgeräte nicht angeboten werden. Dieses „Autohaus Dilemma“ spiegelt sich derzeit in vielen Carriern im Real Estate-Bereich wider, wo gewerbliche Immobilien von wohnwirtschaftlich genutzten Immobilien getrennt behandelt werden. Dies führt dazu, dass größere Immobilieninvestoren von verschiedenen Abteilungen und Produkten bedient werden. Das kann dazu führen, dass ein Wohnblock, der direkt neben einem Einkaufszentrum steht und demselben Eigentümer gehört, nur ein relevant niedrigeres Naturgefahrenlimit versichern kann als das Einkaufszentrum.
Wächst die „Verständnislücke“?
Aus unserer Sicht zeigen diese Beobachtungen, dass die „Verständnislücke“ zwischen Versicherern und Gewerbekunden wächst. Damit aber kein Missverständnis entsteht: Wir erwarten nicht, dass ein Holzrisiko ohne Brandschutz versichert wird. Aber es ist für eine sachgerechte Zusammenarbeit entscheidend, den Kunden und seine spezifischen Bedürfnisse zu verstehen. Standards, Zeichnungsgrenzen und -Ausschlüsse müssen immer wieder relativiert und an Branchen- bzw. Kundenanforderungen und deren reale Möglichkeiten angepasst werden.
Die gute Nachricht am Ende des Tages ist, dass die Aufgabe des Maklers wichtig ist, um die Interessen der Parteien einander anzunähern. Wir sind der Schlüssel, um Lösungen zu finden und die Kunden in dieser herausfordernden Zeit bestmöglich zu unterstützen. Was es braucht, ist nur ein wenig mehr Offenheit.